Der innere Schweinehund wird in einem Berner Museum herausgefordert

Hemmungen sind mühsame, aber notwendige Lebensbegleiterinnen. Das Museum für Kommunikation in Bern hat eine Ausstellung kreiert, die den Besuchenden die eigenen Hemmungen vor Augen führt. Doch die Coronapandemie verstärkt den inneren Schweinehund noch.

Die aktuelle Ausstellung im Museum für Kommunikation konfrontiert die Besuchenden von Anfang an mit ihren Hemmungen: Als Auftakt kommt ein Bühnenauftritt. Foto: Gina Krückl

Am Ende der Rampe hängt ein Bildschirm. Dort läuft der Countdown: 3, 2, 1 und los geht’s. Blendende Scheinwerfer und komplette Exponierung. So bloss stellend ist der Auftakt der Ausstellung «Schweinehunde und Spielverderber» im Museum für Kommunikation in Bern.

Nervige Hemmungen

Trotz Corona setz das Museum auf Interaktion. In dieser Ausstellung können sich die Besuchenden ihren Hemmungen stellen und sie bestenfalls überwinden – mit einem Bühnenauftritt oder indem die Besuchenden unangenehme Fragen in einem Kartenspiel beantworten. Auch Nico Gurtner, Medienverantwortlicher des Museums, ignoriert für einen Moment seine Kameraangst:

Unverzichtbare Hemmungen

Er ist aber der Meinung, dass gewisse Hemmungen auch gut seien. Beispielsweise wenn es um physische Gewalt geht. Die Ausstellung behandelt auch diese positiven Hemmungen, beispielsweise beim Posten «Hass im Netz». Im Internet ist die Hemmschwelle bekanntlich tiefer. Der Grund dafür ist, dass der Verfasser nicht weiss, welche Reaktion seine Aussage beim Gegenüber auslöst. Konsequenz: Rassistische und sexistische Hasstiraden häufen sich. In diesem Fall sollen uns die Hemmungen daran hindern, eine Grenze zu überschreiten.

Verheerende Hemmungen

Viele Emotionen werden im Alltag unterdrückt, bei Gesprächen über Sex oder Geschlechtskrankheiten sind viele Menschen gehemmt. Dadurch entstehen Tabus. Das Museum will mit solchen Tabus brechen, indem es die Besuchenden mit diesen Themen konfrontiert.

Das Museum zeigt Plakate, um etwa Aids zu enttabuisieren. Foto: Andrea Schweizer

Coronabedingte Hemmungen

Ein wichtiger Bestandteil der Ausstellung fehlt: Die Kaugummi-Wand. Dort können die Besuchenden am Ende des Rundgangs einen Kaugummi aus einem Automaten raus drehen und diesen danach an die dafür vorgesehen Wand kleben. Sie war der krönende Abschluss, sagt der Medienverantwortliche. Aus hygienischen Gründen sei diese dann kurz vor dem Lockdown entfernt worden. Dort klebte mehr als nur ein Kaugummi von Nico Gurtner.

Für manche anekelnd, für andere reizend – Corona hat die Verewigung des Speichels auf dieser Wand verunmöglicht. Denn die Pandemie hat mit dem Shutdown neue Hemmungen ausgelöst. Das merkt auch Nico Gurtner. Nach den Lockerungen ging er erstmals auf physischen Abstand zu den Leuten im Tram oder im Migros. Wurde die anfängliche Solidarität durch Skepsis und Misstrauen abgelöst? Der Medienverantwortliche hofft auf das Gegenteil: «Dass die Solidarität bleibt und die Hemmungen wieder abnehmen.»

© Andrea Schweizer