Im Oberaargau fehlt eine ambulante Beratungsstelle für Betroffene von Gewalt

Das nächste Frauenhaus liegt in Bern oder Biel. Dringend nötig wäre für Betroffene vor allem eine Opferhilfestelle vor Ort, zum Beispiel in Langenthal.

Momentan wird es früh dunkel. Die meisten Menschen verbringen im Vergleich zum Sommer viel Zeit zu Hause – und wegen der Corona-Pandemie noch mehr. Frustrierend für viele. Schlimm für diejenigen, die zu Hause Gewalt erleben.

Am 10. Dezember gehen dieses Jahr zum letzten Mal im Oberaargau bei Einbruch der Dunkelheit orange Lichter an – als Aktion gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Eine Beratungsstelle für Betroffene gibt es in der Region aber keine. Die Opferhilfe und die Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kinder sind beide in Bern stationiert. Frauenhäuser gibt es in Biel, Thun und Bern.

Auch das Hotel und Restaurant Bären in Langenthal leuchtet orange anlässlich der Aktionstage gegen Gewalt an Frauen. © Marcel Bieri

Das Problem ist akut: Seit Juni gingen beim Regierungsstatthalteramt Oberaargau deutlich mehr Meldungen zu häuslicher Gewalt ein als im ersten Halbjahr. Die Kantonspolizei bestätigt eine klar steigende Tendenz in diesem Zeitraum gegenüber dem Vorjahr.

In der ersten Hälfte dieses Jahres sind 27 Fälle bekannt, von Juni bis heute 57 Fälle von Gewalt zu Hause. Das ergibt 84. Im Vorjahr waren in der Region insgesamt 42 Fälle bekannt. Für Betroffene gibt es im Oberaargau nur amtliche Anlaufstellen: die Kantonspolizei oder die Sozialämter in den grösseren Gemeinden.

Ein geschützter Rahmen fehlt

Deswegen fände Thomas Eggler, Leiter des Sozialamts Langenthal, eine lokale Kontaktstelle sinnvoll: «Die Schwelle, zum Sozialdienst zu gehen, ist hoch.» Dem Sozialamtsleiter sind denn auch wenig Fälle von Gewalt in den eigenen vier Wänden bekannt.

Er vermutet, dass gerade Sozialhilfebezügerinnen zurückhaltend seien. Sie könnten allenfalls befürchten, dass etwa der Mann oder die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde davon erfahren würde, wenn sie beim Sozialdienst häusliche Gewalt meldeten. Ganz grundsätzlich fehle ein geschützter Rahmen, eine unabhängige Stelle.

Der Stellenleiter der Regionalen Sozialdienste Niederbipp, Daniel Frei, würde eine lokale Beratungsstelle ebenfalls begrüssen: «Sie würde die Kommunikation für Menschen mit sprachlichen Schwierigkeiten erleichtern.» Etwa für Personen mit Migrationshintergrund. Ausserdem könnten mit einer lokalen Anlaufstelle eventuell Menschen erreicht werden, die aktuell in der Dunkelziffer verschwinden würden.

Die schützende Distanz

Im Frauenhaus Bern kämen immer wieder Frauen aus dem Oberaargau unter, sagt Christine Meier, Geschäftsleiterin der Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern. Im Grossen Rat werde zwar eine Opferhilfestrategie diskutiert. Dabei sei ein neues Frauenhaus, etwa im Oberaargau, vorläufig nicht vorgesehen. «In den bestehenden Frauenhäusern brauchen wir aber wohl mehr Plätze», sagt die Geschäftsleiterin.

Müsse die Frau ihr Zuhause aus Sicherheitsgründen verlassen, sei die grosse Distanz aber eher von Vorteil. So weit weg wie möglich von der Gefahr. Der Standort der Frauenhäuser wird zwar geheim gehalten. Doch in ländlichen Gebieten kann dieser viel schneller geortet werden. Daher sei dort eine Schutzunterkunft heikler, findet Lis Füglister von der Berner Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt.

«Betroffene von häuslicher Gewalt sind oft akut gefährdet. Sie dürfen nicht gefunden werden», hält Bernadette Kaufmann von der Opferhilfe Bern fest. Eine Schutzunterkunft werde bei unmittelbarer Bedrohung aufgesucht. «Häufig droht der Partner damit, der Frau und allenfalls auch den Kindern etwas anzutun. Etwas seltener droht er mit Suizid – und die Kinder mit in den Tod zu nehmen.» Bei manchen Paaren komme es erst bei der Trennung zur Eskalation.

Kaufmann, Meier und auch Füglister fänden eine ambulante Beratungsstelle im Oberaargau oder im Emmental sinnvoll: «Eine Beratungsstelle Opferhilfe in diesen zwei Regionen wäre wichtig», sagt Kaufmann von der Opferhilfe. Sie müsste aber so stationiert sein, dass die Anonymität gewährleistet sei. Daher käme etwa Langenthal infrage.

Die hinderliche Distanz

Doch ein weiteres Büro zu eröffnen, sei momentan schwierig, da unter anderem wegen der Corona-Pandemie alle auf Sparkurs seien. Erste Überlegungen für einen zusätzlichen Standort sind jedoch im Gange.

Als Alternative zur persönlichen Beratung bieten Opferhilfestellen einen anonymen Telefon- oder Maildienst an. Die Frauenhäuser sind mit der Telefonhotline Appelle jeden Tag 24 Stunden erreichbar. Denn: «Die Distanz ist eine Hürde.» Christine Meier, Geschäftsleiterin der Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Kindern, möchte bei der Prävention und Sensibilisierung den Fokus vermehrt auf dezentrale Regionen wie den Oberaargau legen.

Erleben Sie zu Hause Gewalt? Die neue Hotline Appelle (031 533 03 03) ist rund um die Uhr besetzt. Daneben gibt es etwa die Beratungsstelle Opferhilfe in Bern. Personen, die in der Partnerschaft Gewalt ausüben, können sich an die Fachstelle Gewalt oder an die Berner Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt wenden.