Auch Schulbücher sind nicht frei von Rassismus

Die diesjährige Tour de Lorraine in Bern will «Köpfe und Herzen dekolonisieren». Dabei geht es auch um rassistische Inhalte in Lehrmitteln, wie Rahel El-Maawi und Mandy Abou Shoak aufzeigen.

Rahel El-Maawi aus Zürich hat sowohl privat als auch beruflich viel mit Kids of Colour zu tun. Sie weiss dadurch, dass Kinder auch heute noch rassistische Diskriminierung in der Schule erleben. Die Lehrpersonen verpassen es meist, das Thema anzusprechen. Die Folge: Betroffene Kinder werden schulmüde und leiden oftmals unter einem abgewerteten Selbstvertrauen.

Das war der Grund für die Organisationsberaterin für diversitätsorientierte Betriebskultur, Schulbücher auf rassistische Inhalte zu untersuchen. Gemeinsam mit Mandy Abou Shoak, die als Sozialpädagogin in Zürich an einer Schule arbeitet, analysierte sie Geschichts- und Deutschbücher. Diese kamen im Schuljahr 2019/2020 in Zürich auf Mittel- und Sekundarstufe zum Einsatz. Die beiden Frauen stellen nächsten Mittwoch die Analyse bei einem Online-Workshop an der Tour de Lorraine in Bern vor, die dieses Jahr unter dem Titel «Tour décolonial» stattfindet.

In den untersuchten Schulbüchern zeigt sich, wie stark verankert rassistisches Denken ist. Rahel El-Maawi sagt am Telefon: «Das Resultat der Analyse löste in mir Trauer, Entsetzen, Ohnmacht und eine gewisse Wut aus.» Die zwei Rassismusexpertinnen haben kein einziges Lehr- oder Lernmittel gefunden, das sie ohne Zweifel empfehlen können.

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Bei ihrer Analyse stiessen sie zum Beispiel auf das N-Wort, das in einem Geschichtsbuch zitiert wird (hier geht es zur Analyse). In einem anderen Geschichtsbuch wird eine Schwarze Person nur mit Federn bedeckt dargestellt, während der weisse Mann neben ihr Schuhe, Hose und Anzug trägt. Die Autorinnen schreiben dazu: «Der weisse Mensch ist hier einmal mehr als rational, ‹zivilisiert› dargestellt und die Schwarze Person als zu belehrende, naturgebundene Schüler*in.» Eine solche Abbildung beinhalte stereotyp-rassistische Merkmale und reproduziere die gesellschaftliche Hierarchisierung. Mandy Abou Shoak sagt: «Besonders schlimm daran ist, dass solche Bilder direkt auf Schwarze Schülerinnen und Schüler übertragen werden.»

Das Adjektiv «Schwarz» wird hier mit grossem S geschrieben. Diese Schreibweise wird in der Rassismus-Debatte immer geläufiger. Die Idee dahinter: «Schwarz» ist nicht die Bezeichnung der Hautfarbe (die ja nicht wirklich schwarz ist), sondern ein soziales Konstrukt, das die lange Geschichte der Diskriminierung widerspiegelt.

Die Kapitel zu Imperialismus und Kolonialisierung reproduzieren laut den Autorinnen Rassismen und stützen sie unhinterfragt. Das widerspricht dem Recht auf diskriminierungsfreie Bildung. «Kinder und Jugendliche, die in der Schweiz zur Schule gehen, lernen vor allem die Perspektive der Eroberer und Eroberinnen kennen.»

«Wir» und die «anderen»

Laut El-Maawi nimmt gerade auch in der Schule Diskriminierung aufgrund kultureller Zugehörigkeit zu. Was alle Rassismen verbindet: Sie bewirken ein sogenanntes Othering, also ein Denken in den Kategorien «wir» und die «anderen».

Ein einziges Beispiel in den untersuchten Lehr- und Lernmitteln fanden El-Maawi und Abou Shoak gelungen: den Aufstand von Versklavten in Haiti. Sie bemerken anerkennend, dass der Widerstand überhaupt aufgenommen und zudem eine kurze Biografie einer Schwarzen Person erzählt wird: François-Dominique Toussaint-Louverture wird als Widerstandskämpfer gewürdigt. Damit stehe erstmals eine positiv konnotierte Schwarze Person, die aktiv handle, im Mittelpunkt von kolonialer Geschichte in einem der untersuchten Lehr- und Lernmittel, schreiben die Autorinnen.

Zwar wurden die untersuchten Bücher an Zürcher Schulen eingesetzt. «Doch», sagt El-Maawi, «ich weiss ebenfalls von Lehrmitteln aus dem Kanton Bern, die stigmatisierende Inhalte haben.» Oder auch, dass eine Lehrperson an einer Berner Schule das N-Wort mehrfach mündlich vorgelesen habe – trotz Intervention von Schülerinnen und Schülern.

Laut El-Maawi braucht es in Lehrmitteln klare Hinweise, wie man über Rassismus sprechen soll. Diese Leitlinien seien in Schulbüchern nicht zu finden. Schön fände El-Maawi, wenn die Vielfalt der Schülerinnen und Schüler als Ressource genutzt würde.