Doris Ryser wurde 1969 in Erlach erste Gemeindepräsidentin der Deutschschweiz. Obwohl das ein historischer Schritt war, ist die Quellenlage über sie dürftig.
In Attiswil übernahm dieses Jahr die erste Frau das Gemeindepräsidium. Das seeländische Erlach war der Oberaargauer Gemeinde 52 Jahre voraus, wie ein Blick in die Stadtchronik Langenthals zeigt: Dort übernahm 1969 die Langenthalerin Doris Ryser das Amt. Also noch vor dem eidgenössischen Stimm- und Wahlrecht für Frauen, dessen Einführung sich heute zum 50. Mal jährt.
Elisabeth Kopp – zweifellos die erste Bundesrätin der Schweiz – gilt auch als erste Gemeindepräsidentin der Deutschschweiz, wie verschiedenen Zeitungsartikeln aus jüngster Vergangenheit oder auch ihrer Biografie von René Lüchinger aus dem Jahr 2013 zu entnehmen ist. Doch wie sich zeigt, ist das falsch: Kopp übernahm in einer Zürcher Gemeinde fünf Jahre nach Doris Ryser ein Gemeindepräsidium.
Im Langenthaler Stadtarchiv stehen dazu einige wenige Zeilen in einem lokalen Zeitungsartikel:

Im Internet ist im Gegensatz zu Kopp über Ryser kaum etwas zu finden. Gerade mal ein kurzer Artikel über sie wurde digitalisiert. Er erschien im Dezember 1969 in der «Neuen Zürcher Zeitung», und darin steht: «Das kleine Grafenstädtchen Erlach am Bielersee hat (…) durch die Wahl einer Gemeindepräsidentin im Kanton Bern Seltenheitswert erlangt.»
Aus dem Zeitungsartikel geht hervor, dass die Fürsprecherin und Gerichtschreiberin Doris Ryser dabei 301 Stimmen erhielt – doppelt so viel wie ihr Gegenkandidat, der 145 Stimmen holte. Sie wurde unter anderem von den Sozialdemokraten unterstützt. Ryser landete wahrscheinlich aus beruflichen Gründen in Erlach. Wie alt sie damals war und auch wann sie geboren wurde, liess sich nicht herausfinden.
Während das nationale Wahl- und Stimmrecht noch auf sich warten liess, konnten in Erlach 1969 Frauen bereits an die Urne. Und 70 Prozent taten das auch – bei den Männern lag die Wahlbeteiligung bei 96 Prozent. Eine Zeitzeugin aus Erlach, Madeleine Meyer, kann sich am Telefon nicht mehr genau erinnern, ob sie wählen ging. Als die 84-Jährige aber erfährt, dass Frauen damals dazu berechtigt waren, sagt sie überzeugt: «Wenn man konnte, habe ich bestimmt gewählt.»
«Sie war keine Duckmäuserin»
Nach der Wahl habe man die Erlacherinnen und Erlacher in der ganzen Schweiz darauf angesprochen, sagt Meyer, die während Rysers Amtausübung Gemeindevormund war. «Wir waren stolz.» Die Gemeindepräsidentin sei tüchtig und offen gewesen, juristisch «schampar sattelfest» und eine gute Führungsperson. Meyer kann sich nicht mehr genau daran erinnern, welche politischen Schwerpunkte die Langenthalerin gesetzt hat, aber: «Sie muss fast feministisches Politik gemacht haben, sie setzte sich stark für Frauenrechte ein. Und sie war keine Duckmäuserin.»
Das bestätigt am Telefon Adolf Kohler, ein anderer Zeitzeuge, der während Rysers Gemeindepräsidentschaft auf der Gemeindeverwaltung arbeitete: «In schwierigen Situationen hat sie Rückgrat bewiesen.»
Der 87-Jährige beschreibt Ryser als eine clevere Frau. Sie sei nah bei den Leuten gewesen und oft mit in die Beiz gekommen. «Wissen Sie, damals war das ganz verruckt, dass eine Frau das Gemeindepräsidium übernahm», sagt Kohler. Auch er sagt: In der Gemeinde sei man stolz darauf gewesen.
Er selbst hat seine Stimme 1969 dem Gegenkandidaten aus der FDP gegeben, der ein guter Freund von ihm war. Vielleicht hätte er bei der Wahl zur zweiten Amtsperiode ihr die Stimme gegeben – je nach Gegenkandidat.
Zurück in den Oberaargau
Später wird die Informationslage undurchsichtig. Zur Wiederwahl kam es wohl nie. Wahrscheinlich führte Ryser nur eine Amtsperiode aus und ging dann aus privaten Gründen zurück in den Oberaargau, nach Herzogenbuchsee.
Die Pionierin, die in Langenthal aufwuchs, ist vor einiger Zeit gestorben. Wann und wo, liess sich nicht herausfinden.
Dieser Artikel erschien in der Serie zu «50 Jahre Frauenstimmrecht». Am 7. Februar 1971 erhielten die Schweizerinnen das Recht auf eine eigene Stimme, die politische Gleichberechtigung. In dieser losen Serie sprechen Redaktorinnen und Redaktoren mit Zeitzeuginnen und Historikern, erinnern an Vorkämpferinnen, analysieren Schlüsselereignisse der Emanzipation. Und stellen die Frage: Welches sind die Folgen bis heute?