Arbeiten auf dem Bau ist ein Verschleissjob. Trotzdem ist die Varium Bau AG in der Berner Lorraine mit ihrem Teilzeitmodell noch eine Ausnahme.
Sie schleppen Kessel voll mit Schutt ein Treppenhaus hoch. Später tragen sie eine Badewanne zum Entsorgen die Treppe hinunter. Fürs Spitzen halten sie teilweise stundenlang den Spitzhammer – oft in verrenkter Körperhaltung. Er wiegt mehrere Kilogramm und rüttelt die Arme durch.
Die meisten Maurer – Maurerinnen gibt es kaum – arbeiten Vollzeit. In Staub und bei Lärm. Zur Erholung bleibt normalerweise nur das Wochenende. Nicht bei der 15-köpfigen Varium Bau AG in der Berner Lorraine: Sie hat seit über zwei Jahrzehnten ein Teilzeitmodell. Mit einer Ausnahme arbeiten alle zwischen 60 und 80 Prozent: der Plattenleger, der Maurer, die Lehmbauerin, der Terrazzo-Spezialist. In der Baubranche ist das nach wie vor eine Seltenheit, wie diese Recherche zeigt.
Die Vorteile
Michael Baumgartner und Urs Huttenlocher leiten das Bauunternehmen im Berner Stadtquartier, bei dem sie seit über 20 Jahren arbeiten. Sie nennen mehrere Gründe für das Teilzeitmodell: Einerseits ist da die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. «Das Modell erlaubt eine gleiche Arbeitsteilung unter den Eltern», sagt Huttenlocher. Über die Hälfte der festangestellten Bauarbeiter hat ein Kind oder mehrere Kinder. Baumgartner ergänzt: «Väter sollen nicht nur einen Tag unter der Woche und am Wochenende zu den Kindern schauen können, sondern gleich oft wie die Mütter.»
Andererseits ist da aber auch die körperliche Belastung: Damit man sich in den ersten 15 Jahren im Beruf nicht selbst kaputtmache, brauche es das Teilzeitmodell, sagt Urs Huttenlocher und fügt hinzu:
«Nach einem Tag auf dem Bau bist du am Abend kaputt.»
Mit drei bis vier Arbeitstagen pro Woche bleibe Zeit für Hobbys, eine Beziehung oder für Freundinnen und Freunde.
Es ist nicht ganz klar, wie verbreitet das Teilzeitmodell bei grossen Baufirmen ist. Bei Frutiger gibt es Bauangestellte, welche Teilzeit arbeiten. Das Bedürfnis habe zugenommen, teilt der Personalleiter mit. Bei Marti und Losinger-Marazzi waren keine Auskünfte erhältlich.
Eine Umfrage bei kleineren und mittleren Bauunternehmen im Oberaargau, Emmental und in der Region Bern zeigt jedoch: Sie ziehen mittlerweile nach. So hat die Witschi AG in Langenthal gemerkt: «Wir müssen die Möglichkeit auf Teilzeit anbieten, um als Arbeitgeberin attraktiv zu sein», sagt Geschäftsleitungsmitglied und Hochbauleiter Stefan Kurt.
Früher herrschte laut Kurt in der Branche die Meinung vor, Teilzeit auf dem Bau sei nicht möglich. Bis vor 20 Jahren habe man bis 65 draussen auf der Baustelle gearbeitet. Die Folge: Hüft- und Rückenprobleme. Mittlerweile wurde das Pensionsalter auf 60 gesenkt. Heute arbeiteten Maurer bewusst rückenschonender, würden vermehrt auf Maschinen und Bagger zurückgreifen. Der Job sei immer noch hart. Aber dank Hilfsmitteln wie Stapler, Hebegerät und Förderband wird der Körper weniger belastet. Kurt stellt fest:
«Heute ist Arbeit nicht mehr alles.»
Mit Teilzeit könne man einem Burn-out entgegenwirken.
Zudem seien gute Berufsleute auf dem Bau Mangelware. «Deshalb haben wir uns Teilzeit auf die Fahne geschrieben. Für Maurer, Vorarbeiter und Poliere.» Letztere beide tragen auf der Baustelle mehr Verantwortung. Bei einem 60-Prozent-Pensum ist die Witschi AG momentan zurückhaltend. Sie muss noch herausfinden, wie sich der organisatorische Mehraufwand bewältigen lässt.
Aktuell arbeiten bei der Witschi AG auf der Baustelle drei Arbeitnehmer Teilzeit: ein Bauführer 80, ein anderer 90 und ein Polier 90 Prozent. Die Gründe sind eine ausgewogene Work-Life-Balance und die Möglichkeit, mehr Zeit mit der Familie verbringen zu können. Stefan Kurt hat aus familiären Gründen ebenfalls Teilzeit gearbeitet. Daher weiss er: «Teilzeit ist ein Pluspunkt.»
Bei der 30-köpfigen Bauunternehmung Schibler und Haldi in Frauenkappelen arbeiten drei von fünf Maurern 80 Prozent. Laut Chef Martin Schibler ist das Bedürfnis nach Teilzeit nur vorhanden, wenn Männer Väter werden. «Um einen Tag im Bett zu bleiben, bieten wir das aber nicht an.» Für den grossen Aufwand bei der Planung lohne sich das nicht.
Ähnlich sieht es die GLB Oberaargau. Auf die Frage, welches die Vorteile von Teilzeitarbeit seien, lacht Geschäftsführer Werner Lüthi von der GLB Oberaargau. Dann verstummt er, lacht nochmals und fragt zurück: «Vorteile von Teilzeit?» Zuerst scheint es, als habe er Vorbehalte gegenüber diesem Arbeitsmodell. Doch dann fügt er an, auch er habe dreizehn Jahre Teilzeit gearbeitet.
Obwohl Teilzeitarbeit auf den vielen kleinen Baustellen mit ein bis zwei Mitarbeitenden schwierig umzusetzen sei, biete es die GLB Oberaargau an. Das hat einen Grund:
«Um junge Familienväter binden zu können.»
Aktuell arbeiten bei der Firma drei Maurer und Poliere von 25 Angestellten in der Baumeisterabteilung Teilzeit. Insgesamt zählt die GLB Oberaargau rund 75 Bauangestellte.
Die Herausforderungen
Die Planung der Schichten und die Absprachen mit den Bauherren seien dadurch komplizierter, sagt Werner Lüthi. Die GLB Oberaargau will Teilzeit zwar nicht fördern, ist aber offen.
Etwas skeptischer zeigt sich Jürg Kämpf von Faes Bau in Burgdorf: Dort arbeiten eine Person in der Werkstatt und ein Polier je 80 Prozent. Zwei von insgesamt 80 Mitarbeitenden auf den Baustellen und im Werkhof. «Auf einer grösseren Baustelle ab acht Personen ist es einfacher, die Abwesenheit eines Teilzeitmitarbeiters aufzufangen.» Bei einem vierköpfigen Team hingegen sei es ein grosser organisatorischer Aufwand. Ausserdem dürften gerade Schlüsselfiguren wie der Baumaschinenführer nicht fehlen.
«Wir spüren kein Bedürfnis nach Teilzeitarbeit», stellt Geschäftsführer Jürg Kämpf fest. Es müssten Einzelfälle bleiben. Sie hätten kein Nachwuchsproblem und fänden jedes Jahr einen neuen Maurerlehrling.
Auch Stefan Kurt von der Witschi AG in Langenthal weist auf den Zusatzaufwand hin, der durch dieses Arbeitsmodell entsteht. Trotzdem findet er es wichtig, dass ein Umdenken stattfindet.
Zurück in der Berner Lorraine. Baumgartner von Varium Bau blendet die Herausforderung von Teilzeitarbeit nicht aus: «Die Übergabe der Baustelle kostet Zeit.» Am Montag beginne man eine Baustelle, die man am Mittwoch jemandem übergeben müsse, der oder die am Donnerstag und am Freitag auch auf der Baustelle sei.
Die Arbeitspläne zu machen, werde dadurch wie Schachspielen, sagt Huttenlocher. Manchmal ärgert sich jemand, da er oder sie bei einer Baustelle einspringen muss. Bei grossen «Buden» gebe es einen Wochenplan von Montag bis Freitag mit eher monotoner Arbeit, bei Varium Bau dagegen mehr Abwechslung. Dafür sei auch Spontaneität gefragt. Trotzdem hält die Firma am Teilzeitmodell fest.
Der fehlende Nachwuchs
Bald beginnt für angehende Maurerinnen und Maurer die Lehre. Doch Nachwuchs fehlt: «Viele Polierinnen und Poliere werden demnächst pensioniert und nur wenige rücken nach», sagt Michael Baumgartner von Varium Bau. Er vermutet, dass das Fehlen von Teilzeitangeboten im Bauhauptgewerbe manche jungen Leute abschrecke. Tatsächlich begannen laut dem Schweizerischen Baumeisterverband 2010 noch über 1200 Personen eine Maurerlehre, dagegen waren es 2021 nur noch 700.
Etwas weniger markant, aber gleichwohl beachtlich ist der Rückgang im Kanton Bern: 2010 haben noch circa 150 Personen eine Maurerlehre begonnen, 2021 gab es laut dem Kantonalen Baumeisterverband dagegen nur gut 100 neue Maurerlernende. Was auffällt: Laut Geschäftsführer Peter Sommer ist auf dem Land der Rückgang geringer: «Hier haben handwerkliche Berufe einen anderen Stellenwert als in der Stadt.»
Mehr Verständnis vonseiten der Bauherren sei wichtig, sagt Peter Sommer. Man müsse ihnen klarmachen, dass Bauarbeiter im Sommer auch Ferien bräuchten. Gleichzeitig ist dann in der Baubranche Hochsaison. Sommer kennt kaum ein Bauunternehmen, das sich mehrere Wochen Betriebsferien erlauben kann.
Grundsätzlich sei es ein gesellschaftliches Problem:
«Handwerkliche Berufe erhalten schlichtweg zu wenig Anerkennung.»
Um mehr junge Leute zu gewinnen, sei Teilzeit wohl nicht das entscheidende Erfolgsmodell – aber bestimmt ein weiterer Mosaikstein.
Das dringendste Bedürfnis für Maurerinnen und Maurer sei momentan zwar nicht Teilzeit, sagt Chris Kelley, Co-Leiter Sektor Bau bei der Unia. Doch dieses könne wachsen. Wichtiger seien zurzeit kürzere Arbeitstage und mehr Planbarkeit, damit mehr Zeit für die Familie übrig bleibe. Wie Peter Sommer nennt auch Chris Kelley den Zeitdruck als Problem: Die Termine für Bauaufträge würden immer unrealistischer.
Teilzeit mag in der Maurerbranche zwar nach wie vor die Ausnahme sein, was womöglich auch mit dem kantonalen Einstiegslohn von rund 4900 Franken pro Monat zu tun hat. Aber das Teilzeitmodell kann auch Zeichen einer neuen Denkweise bei der Personalsuche sein.